Abtastrate beeinflusst HRV-Werte

Die Genauigkeit der HRV-Werte ist davon abhängig, wie die Messung vorgenommen wird, also welcher Sensor mit welchen technischen Fähigkeiten für die Herzfrequenz-Erfassung zum Einsatz kommt. Die System-Palette fängt bei verschiedenen EKG-Ausführungen an, geht über unterschiedliche Brustgurt-Modelle und endet bei Ohr-Clips oder auch Smartphone-Kameras. Um zu verstehen, was den wesentlichen Unterschied bei der Erfassung des auszuwertenden Signals ausmacht, muss man sich mit dem Messverfahren und letztendlich mit der Abtastrate vertraut machen.

Wenn man sich mit Herstellern von Messsystemen zur HRV- oder VNS-Analyse unterhält, dann wird gerne die Abtastrate (engl.: Sampling-Rate) hervorgehoben. Argumentiert wird: „Je höher die Abtastrate ist, desto genauer und aussagekräftiger fallen die Werte der Herzratenvariabilität (HRV) aus“. Von einigen Experten und Gesellschaften liest man, dass eine Abtastrate von 1000 Hertz (Hz) die Mindestanforderung sei. Teilweise verwenden Gerätehersteller EKG-System-ähnliche Elektroden, teilweise werden Brustgurte oder Ohr-Clips verwendet. In diesem Beitrag möchte ich der Frage nachgehen: Welchen Einfluss hat die Abtastrate auf die Verlässlichkeit der HRV-Werte?

Was ist die Abtastrate?

Grob betrachtet geht es bei einer Messung der HRV darum, die Zeitabstände zwischen den einzelnen Herzschlägen zu messen. Der feine Unterschied ist, wie genau das geschieht. Die Abtastrate in den verwendeten Sensoren bzw. Systemen gibt darüber Auskunft, wie oft pro Sekunde ein Messsignal gespeichert wird.

Die Abtastrate drückt aus, wie oft ein Messvorgang pro Sekunde wiederholt wird, und wird mit der Einheit Hertz (Hz) angegeben. Beträgt die Abtastrate beispielsweise 500 Hz, dann wird 500 Mal pro Sekunde im zeitlichen Abstand von 2 Millisekunden ein Messwert als Grundlage zur Auswertung des Herzschlags aufgezeichnet.

Die Verbindung der einzelnen Messwerte ergibt dann die typische EKG-Linie. Je höher die Abtastrate, umso genauer fällt das Ergebnis aus. Wird alle ein bis zwei Millisekunden (Tausendstel-Sekunden) gemessen, kann nichts verloren gehen oder übersehen werden. Die R-Zacken werden punktgenau erfasst. Auch sogenannte Ausreißer fließen in die Aufzeichnung mit ein. Bei weniger Messwerten müssten Abschnitte überbrückt werden, was zu Ungenauigkeiten führen kann.

Das folgende Schaubild stellt beispielhaft dar, dass die digitale Messung des EKG-Signals zu einer Reihe von Messwerten führt, die hier als schwarze Punkte dargestellt werden. Die grauen Verbindungslinien dienen nur als gedankliches Hilfsmittel zum leichteren Verständnis des Messwerteverlaufs:

Kleine EKG-Kurvenkunde

Für alle, die nicht zu 100 Prozent mit der Berg- und Talfahrt der EKG-Kurve vertraut sind, hier noch mal schnell eine kleine Kurvenkunde. Der durch das Herz wandernde elektrische Impuls wird in der EKG-Kurve aufgezeichnet. Das Erregungsleitungssystem beginnt mit der Erregung der Vorhöfe, die P-Welle. Nach der Überleitungszeit folgt der QRS-Komplex (Kammererregung). Wegen der herausstechenden Auf- und Abwärtsbewegung lässt sich die spitze R-Zacke im Diagramm meist am deutlichsten erkennen. Auf den QRS-Komplex folgt die T-Welle, die erregten Herz-Zellen kehren wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurück.

Zur Vertiefung des Themas EKG empfehle ich das Buch Der EKG-Knacker (Das Notfall-EKG-Buch). Es bietet einen guten Überblick und prägnante Darstellungen.

Auswirkungen einer hohen und niedrigen Abtastrate

EKG-Geräte funktionieren im Prinzip so: Sie messen die elektrische Spannung zwischen den auf der Haut angebrachten Elektroden. Geräte, die 1000 Messwerten pro Sekunde bereitstellen, sind hier sehr verbreitet. Diese sogenannte Abtastrate erlaubt eine vergleichbare Darstellung des EKG-Signals, wie sie früher mit Papierstreifen und Tinte erstellt wurde. Für den Arzt oder Therapeuten ist völlig transparent, wie der Herzschlag verläuft.

EKG-Geräte können also wegen einer hohen Abtastrate viele Messwerte pro Sekunde aufzeichnen. Sie messen punktgenau von R-Zacke zu R-Zacke, also mit einer relativ geringen Unsicherheit bei der Bestimmung des Maximums der R-Zacke. Der QRS-Komplex lässt sich deutlich in der aufgezeichneten Kurve ablesen. Mediziner sprechen von Peak-to-Peak-Messung.

Eine hohe Abtastrate ermöglicht, dass “falsche” Schläge, sogenannte Artefakte, erkannt werden. Sie beeinflussen vor allem die HRV-Werte der Auswertungen im Frequenzbereich, wie z. B. Low Frequency (LF) und High Frequency (HF), aber auch der RMSSD-Wert wird je nach Artefakt stark verfälscht. Was bei Langzeitmessungen nicht von allzu großer Bedeutung ist, wenn nur kurze Abschnitte betroffen sind und der Artefakte-Anteil gering ist, kann bei Kurzzeitmessungen zu inakzeptabel verfälschten Ergebnissen führen.

Bei einer geringen Abtastrate werden im Extremfall irgendwo zwischen P- und T-Welle Messwerte aufgezeichnet. Bei der Beat-to-Beat-Messung wird dann keine exakte Bestimmung der R-Zacke ermöglicht. Veränderungen der Höhe und Länge von einem Herzschlag zum anderen gehen verloren. In der EKG-Kurve werden aus Spitzen oder Zacken eher Plateaus, die mit ihrer Breite die zeitliche Unschärfe der Abtastrate erkennen lassen. Die sich ergebende Ungenauigkeit bei der Bestimmung der RR-Intervalle wirkt sich unmittelbar auf die Qualität der HRV-Werte aus, indem sich z. B. eine scheinbar höhere Variabilität ergibt.

Man kann sich vorstellen, dass es bei einer zu kleinen Abtastrate vor allem bei einer höheren Herzfrequenz, z. B. beim Sport, zu noch größeren Ungenauigkeiten kommt. Weil die Abtastrate konstant bleibt, der Abstand der R-Zacken (RR-Intervall) aber mit steigender Herzfrequenz kleiner wird, nimmt der relative Fehler bei der RR-Intervall-Messung zu. Da für die HRV-Messungen normalerweise der Ruhepuls gemessen wird, ist dort dieser Effekt zu vernachlässigen.

Auswirkung der Abtastrate auf die HRV-Werte

Eine niedrige Abtastrate wirkt sich auf die HRV-Werte aus den Zeitbereichsauswertungen, wie z. B. SDRR (Gesamtvariabilität) oder RMSSD, weniger aus als auf die HRV-Werte aus dem Frequenzbereichsverfahren, wie z. B. HF und LF.

Für die Unterscheidung von Einflussfaktoren auf die HRV-Werte ist eine geeignet hohe Abtastrate notwendig. Ansonsten ist es nicht möglich, andere Einflussfaktoren auf die HRV-Wertebestimmung, wie z. B. Alter und Gesundheitszustand, zu trennen. Im Buch Herzschlagvariabilität: Frühwarnsystem, Stress und Fitnessindikator habe ich hierzu eine interessante Gegenüberstellung gefunden.

Wie der Vergleich der folgenden Tabellen zeigt, leiden HRV-Werte von jungen und gesunden Menschen weniger unter einer niedrigen Abtastrate als die von älteren und kranken Personen.

Herzratenvariabilität eines 20-jährigen untrainierten gesunden Menschen:

Frequenz Total VLF LF HF LF/HF SDRR RMSSD
500 Hz 803,6 169,30 192,07 442,25 0,434 35,62 31,03
256 Hz 808,5 173,53 192,32 442,62 0,435 35,67 31,09
125 Hz 809,0 164,97 198,05 445,93 0,444 35,74 31,20
62 Hz 812,2 171,58 196,00 444,57 0,441 36,16 31,71
31 Hz 816,6 177,21 203,39 437,99 0,464 36,83 33,64

(Quelle: Herzschlagvariabilität: Frühwarnsystem, Stress und Fitnessindikator, Tabelle 6, Seite 151, Autoren Werner und Ralf Arne Wittling)

Ergebnisse einer 75-jährigen Frau mit stark eingeschränkter HRV nach einem Herzinfarkt:

Frequenz Total VLF LF HF LF/HF SDRR RMSSD
500 Hz 25,1 18,19 3,74 3,17 1,181 6,23 4,91
256 Hz 24,3 17,45 3,75 3,10 1,207 6,23 4,98
125 Hz 28,3 19,63 4,66 4,03 1,155 6,66 6,19
62 Hz 40,7 24,55 7,00 9,09 0,771 7,80 8,06
31 Hz 64,1 21,58 23,19 19,28 1,203 10,92 12,66

(Quelle: Herzschlagvariabilität: Frühwarnsystem, Stress und Fitnessindikator, Tabelle 7, Seite 151, Autoren Werner und Ralf Arne Wittling)

Wie genau messen Brustgurte?

Anfangs erwähnte ich, dass es Analysesysteme gibt, die ihre HRV-Messungen mit Brustgurtsensoren vornehmen. Vor allem beim Sport und für regelmäßige Anwender ist diese Art der Messdatenerfassung besonders praktisch, weil man nicht auf ein EKG-System im Labor angewiesen ist. Die Genauigkeit hängt von der Art und Weise ab, wie der Brustgurt arbeitet.

Die eher preisgünstigen Brustgurte sind für eine akzeptable Messung der Herzfrequenz (Pulsrate) konstruiert. Das reicht aus, wenn man seinen Herzschlag bei Herz-Kreislauf-Trainings überwachen will. Für eine Auswertung der HRV können sie ungeeignet sein.

Es gibt jedoch Brustgurte, die in der Erfassung der Pulsfrequenz sogar mit einer für medizinische Zwecke zulässigen EKG-Messung mithalten können. Dabei gibt es noch Unterschiede hinsichtlich der verfügbaren Rohdaten:

  • Manche Brustgurte berechnen die RR-Intervalle aus den abgetasteten Spannungs-Messwerten und übertragen nur die Herzratenwerte an das Analysesystem (PC oder auch Smartphone). Welche Abtastraten die Brustgurte intern verwenden, wird nach meinem Eindruck von den Herstellern nicht offengelegt. Lediglich über Vergleiche von Ergebnissen mit Referenzenzsystemen, wie z. B. EKG-Geräte, lassen sich Rückschlüsse auf die Genauigkeit von Brustgurten ziehen. Guten Brustgurten wird dann attestiert, dass sie EKG-tauglich seien. Die mir bekannten Anbieter von HRV-Analyse-Systemen (vnsanalyse, ambiotex, VARILYTIC) machen die Angabe, dass sie mit Brustgurt-Sensoren arbeiten, die eine zeitliche Auflösung von 1 ms gewährleisten. Dies entspricht einer Abtastrate von 1000 Hz.
    Eine Einschränkung ist bei dieser Vorverarbeitung in der elektronischen Komponente des Brustgurts, dass das Zustandekommen der gemessenen Herzrate für Therapeuten nicht durchschaubar ist. Falsche Werte aufgrund von Störungen können nicht unterschieden werden und werden evtl. von Interpolationsverfahren glattgezogen. Mit etwas Erfahrung können aber beeinträchtige Messungen erkannt werden.
  • Es gibt wenige Brustgurte, die nicht nur die errechnete Herzrate beziehungsweise RR-Intervalle, sondern ähnlich einem EKG-Gerät die einzelnen Messwerte (Rohdaten) übertragen. Aus eigener Erfahrung kenne ich den Vitalmonitor, bei dem eine Abtastrate von 500 Hz verwendet wird. Außerdem gibt es ein (mir seither unbekanntes) Produkt von BioSign, das in diese Kategorie gehört.
    Die Übertragung der Rohdaten hat für den Anwender den unschätzbaren Wert, dass er die Qualität der Messung schon gleich am Anfang bei der Erfassung der Messwerte visuell beurteilen kann. Der Effekt „Garbage in – Garbage out“ lässt sich so leichter vermeiden. Zudem bietet das auch, zumindest prinzipiell, für Therapeuten die Möglichkeit, einen Blick auf das EKG-Signal zu werfen und nicht nur Herzraten und HRV zu beurteilen.

Es gibt übrigens eine Studie, die die Genauigkeit eines Brustgurts mit einem EKG-Gerät vergleicht – mit dem erstaunlichen Ergebnis, dass (zumindest im Jahr 2010) ein Brustgurt einem EKG-Gerät im Einzelfall überlegen sein kann.

HRV-Messung ohne Elektroden oder Brustgurte

Auf die Haut geklebte Elektroden oder um den Brustkorb geschnallte Gurte sind zwar zuverlässig für die Messdatenerfassung – aber bequem sind sie nicht. Auch Ohr-Clips sind nicht bequem, schon eher ein Sportkopfhörer. Wesentlich freier fühlt man sich mit Pulsuhren ohne Brustgurte. Als Activity-Tracker und als Feedback-Geber bei der Umstellung des Lebenswandels sind sie bestimmt gut geeignet. Allerdings haben sie meines Wissens immer noch nicht die für HRV-Auswertungen erforderliche Messgenauigkeit und sind anfälliger für Handhabungsfehler, die zu Artefakten führen.

Bei der Messung mit Elektroden auf der Haut – geklebt oder mit Brustgurt angepresst – werden sozusagen die Reste der elektrischen Signale der Herzmuskelreizung an der Körperoberfläche gemessen. Misst man die Herzfrequenz mit einem Ohr-Clip, mit einem Sportkopfhörer oder mit Pulsuhren, die einen optischen Sensor auf der Unterseite haben, wird die Intensitätsschwankung des vom Hautgewebe reflektierten Lichts gemessen. Diese Intensitätsschwankungen werden von der sogenannten Pulswelle der Blutströmung in den Kapillaren des Hautgewebes hervorgerufen.

Die Bestimmung der momentanen Herzrate über dieses optische Verfahren ist für die Belastungskontrolle beim Sport geeignet. Auch für Biofeedback-Übungen und Stress-Einschätzungen unter Ausnutzung der RSA reicht es aus. Aber hinsichtlich der Genauigkeit sind seine Grenzen schnell erreicht, wie beispielsweise bei einem Test aufgezeigt wurde.

Bei den Verfahren ohne Verwendung eines Brustgurts bzw. ohne Hautelektroden ist die Abtastrate nicht der maßgebende Genauigkeitseinfluss, wenn sie hoch genug gewählt wird (z. B. 500 Hz). Einer EKG-Genauigkeit kommt man damit verfahrensbedingt nicht nahe. Aber für Entspannungsübungen, Stressmanagement und zur Therapiebegleitung können solche Systeme, wie z. B. der Stresspilot, durchaus geeignet sein.

Fazit: Welche Abtastrate ist sinnvoll?

Ein guter Kompromiss ist eine Abtastrate von 500 Hz. Damit ist die Genauigkeit der Abtastung ausreichend für aussagekräftige HRV-Werte. Höhere Abtastfrequenzen wie z. B. 1000 bis 8000 Hz verbessern die Messgenauigkeit weiter, der Zugewinn ist aber in Bezug auf HRV-Ergebnisse zu vernachlässigen. Außerdem verdoppelt bzw. vervielfacht sich die Datenmenge, die bearbeitet und eventuell auch online verschickt werden muss.

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